Meine Frau ist Lehrerin. Der Papierkrieg in diesem Beruf ist atemberaubend und es reifte nach und nach die Entscheidung, dass dies geändert werden muss. Um auch mobil vorbereiten zu können, sollte es ein Notebook sein. Um digitale Notizen im Unterricht im Blick zu haben ist ein Tablet wünschenswert. Um in den Unterrichtsvorbereitungen flexibel auch handschriftliche Dinge und Skizzen zu integrieren, war eine Stifteingabe gewünscht.
Ich hatte daraufhin einige Recherchen angestellt und war zunächst skeptisch, ob das mit einem Linux-System zu machen ist. Allerlei Ressourcen zu Linux und Touchscreens sind mehrere Jahre alt und handeln oftmals von Projekten, die eingeschlafen wirken.
Wir haben es trotzdem gewagt und einfach mal ein Lenovo L380 Yoga gekauft und Linux darauf installiert. Leider habe ich erst danach gesehen, dass es das auch ohne Windows-Lizenz zu kaufen gegeben hätte.
tl;dr: Es geht erstaunlich gut, sofern man eine Distribution mit Wayland einsetzt.
Ich hatte zum Glück aus einem anderen Projekt noch einen externen Touchscreen hier, so dass ich schonmal vorfühlen konnte wie sich die Programme und Desktops damit bedienen lassen.
Ein erster Versuch mit Ubuntu war ernüchternd. Im Nachhinein betrachtet liegt das wohl maßgeblich daran, dass Ubuntu Xorg einsetzt und da Gesten mit mehr als 2 Fingern nicht möglich sind.
Aktuell betreiben wir das System unter Fedora 29 mit Gnome, das gibt sich sehr souverän auf dem Gerät. Sobald man ein Eingabefeld mit dem Touchscreen aktiviert, kommt automatisch eine Bildschirmtastatur, wenn man mit Touchpad oder Maus das Eingabefeld ansteuert ist alles ganz klassisch.
Der Stift funktioniert entweder als Maus oder - wenn das Programm damit umgehen kann - mit allen Features, die ein Stift so haben muss.
Kurze Stichpunkte zur Hardware-Kompatibilität:
- Deaktivierung der Tastatur beim Umklappen ist in Hardware gelöst, da gibt es also keine Probleme.
- Ob man F-Tasten oder Hotkeys nutzen möchte, lässt sich im Bios einstellen, hat mit der Software also auch nix zu tun.
- Der Lagesensor funktioniert und ist in Gnome voll integriert, so dass der Bildschirm immer korrekt mit dreht.
- Der Power-Knopf weckt den Rechner aktuell nicht aus dem Standby auf. Dafür ist eine Taste auf der Tastatur nötig. Das ist sehr unschön, mir fehlt aber eine Idee, woran das liegt.
- Der Stift ist für die Software ein Wacom-Tablet, von daher großartige Kompatibilität mit Gimp, Krita, Xournal und Fallback als Maus. Die Handballenerkennung ist in der Hardware, somit gibt es da keine Probleme, die Hand kann ganz natürlich auf dem Bildschirm abgelegt werden, wenn man mit dem Stift arbeitet.
- Die automatische Helligkeitsanpassung des Bildschirms funktioniert auch in Gnome, allerdings etwas unelegant ruckelig. Kann man aber zur Not auch abschalten, muss sich noch zeigen.
- Die Akkulaufzeit scheint mir nicht ganz an die Herstellerangabe ran zu kommen aber das ist schwer zu beurteilen. Für einen Schultag sollte es reichen, kann ja auch mal ner Steckdose begegnen.
- Wir haben eine USB-C-Dockingstation mit Power-Delivery, Netzwerk, HDMI, Kopfhöreranschluss und ein paar USB-Ports dazu, die funktioniert out-of-the-box und lädt das Notebook subjektiv genau so schnell wie das Originalladegerät.
Bei der Software ist abgesehen von der Distribution zunächst mal vieles beim alten geblieben, LibreOffice für die klassische Dokumentenverarbeitung und Gimp für die Nachbearbeitung von Fotos und Skizzen und zum Anfertigen von Screenshots. Neu hinzu kam Xournal++ für die Anfertigung von handschriftlichen Notizen. Da hier im Haus keiner eigene Erfahrungen mit OneNote hat, ist ein Vergleich damit nicht angemessen aber es geht mit Xournal++ in eine gute Richtung. Mit dem Stift lässt sich sehr natürlich schreiben, er hat zwei Buttons von denen einer per Default in den Radierer-Modus schaltet.
Ich habe mir vorab Videos angeschaut, wie Lehrer mit einem Tablet-PC / Convertible (unter Windows) arbeiten und muss sagen, dass ein interessantes Konzept in der Tat noch sinnig wäre: Das Einfügen / Verlinken beliebiger Medieninhalte in eine Skizze wie Xournal++, dazu noch mit einem seitenunabhängigen "infinite canvas"-Konzept und mehreren gleichzeitig offenen Dateien in einer hierarchischen Seitenleiste organisiert, dann hätte man vermutlich einen OneNote-Killer.